Melanie Philip ist Geschäftsführerin von care pioneers GmbH und Vizepräsidentin der Oldenburgischen IHK. Themenschwerpunkte der Expertin für Personal-und Organisationsentwicklung in der Pflege sind Fachwissen Pflege-und Alternswissenschaft, Unternehmerisches Denken und Handeln, Digitale Lösungen für das Gesundheitswesen entwickeln und Fördermittelmanagement.
Für mich ist Pflege als Stützpfeiler der Gesundheitsversorgung die wichtigste Branche unserer Zukunft. Dieser Gedanke ist in Deutschland noch nicht populär - daher fließt noch zu wenig Engagement und Gelder in die Pflegewissenschaft. Die Angst davor, das schwarz auf weiß nachgewiesen wird, dass eine Unterversorgung vorliegt, hindert daran, echte Pflegebedarfe zu definieren (nicht zu verwechseln mit der Erhebung von Pflegebedürftigkeit), valide Versorgungszahlen auch für den ambulanten Bereich zu erheben und ernsthaft daran interessiert zu sein, eine pflegerische Selbstverwaltung aufzubauen. Als Unternehmerin geht es mir darum, Lösungen für die Gesellschaft zu entwickeln. Es ist oft ein harter Kampf, weil Gesundheitswirtschaft leider abhängig ist von Politik und teilweise irrsinnigen Regulierungen. Unser großes Netzwerk ermöglicht es aber, Wege zu finden, die Pflege wieder zukunftsfähig zu machen.
Ich freue mich sehr, dass die DIPA Verordnung so langsam an Fahrt aufnimmt. Schade finde ich, dass wir keinen „health innovation hub" mehr haben, der dieses Thema ähnlich wie die DiGA nochmal ganz anderes befeuern würde. Die größten Chancen sehe ich darin, dass reelle Unterstützungsinstrumente in Form von Apps den Pflegealltag erleichtern können. Richtig angewendet und sinnvoll eingesetzt werden sie insbesondere Angehörige und Pflegebedürftige empowern, Pflegeversorgung zu optimieren. Die Herausforderungen sehe ich in der Evidenz und darin, einen nachhaltigen Einsatz sicherstellen zu können. Ähnlich wie bei anderen Hilfsmitteln muss man sich die Frage stellen, wie die App - das gilt dann für DIGAs und für DIPAs - richtig angewendet und ob sie überhaupt genutzt wird. In diesem Zusammenhang halte ich den Einsatz von digitalen Helfer:innen für sehr relevant, insbesondere für Menschen, die nicht digital affin sind oder auf ein großes Helfer:innennetzwerk zurückgreifen können. Wichtig ist, dass diese Kosten ebenfalls eingepreist werden, sonst macht das wieder weniger Sinn.
Aktuell bereite ich mich auf die Entwicklung einer übergeordneten Telepflegesprechstunde vor, insbesondere für die Unterstützung Angehöriger, die aufgrund der demographischen Entwicklung und des Rückzugs der professionellen Pflege im ländlichen Raum in den nächsten 10 Jahre vermehrt die Versorgung wieder übernehmen müssen. Die neuen digitalen Lösungsansätze, die im Startup Bereich wie die Pilze aus dem Boden sprießen, brauchen eine solide Infrastruktur. Die Infrastruktur muss über die Kommunen gesteuert werden. Es braucht eine kommunale Televersorgungsstruktur, die es vor Ort ermöglicht, alle alten und neuen digitalen Lösungen anzubinden, Kommunikation zu ermöglichen und den Austausch zwischen den Institutionen und Nutzern zu schaffen. Die Institutionen benötigen eine echte digitale Befähigung; Vernetzung muss zunächst geschaffen werden, das kommt nicht von allein. Deswegen konzentrieren wir uns in unserer Arbeit vermehrt auf den Aufbau einer prozessorientierten Infrastruktur, ohne die es keinen ausgewogenen Nährboden für digitale Anwendungen geben kann.
Wir haben aktuell 10 Ärzt:innen über ein Jahr begleitet, alle im ländlichen Räum, drei haben aktuell Ihre Approbation erhalten und können nun die Facharztausbildung zum/zur Allgemeinmediziner:in starten. Zwei weitere werden vermutlich dieses Ziel bis Ende des Jahres erreichen, die restlichen fünf dann, denke ich, bis Juni 2023. Ausschlaggebend ist das Beherrschen der deutschen Sprache - das spiegelt sich 1:1 in der Geschwindigkeit wider, wie schnell das Ziel der deutschen Approbation erreicht wurde. Aktuell wird das Projekt in Rheinland Pfalz nachgefragt, hier stellt sich in den nächsten Monaten heraus, ob BRIDGE auch dort zugewanderte Ärzt:innen dabei unterstützen soll, sich in ländlichen Strukturen unter anderem in der Allgemeinmedizin, niederzulassen.
Das erste Thema, das verändert werden muss, ist die Zuständigkeit. Zuwanderung erstreckt sich thematisch über sämtliche Ministerien und Selbstverwaltungen (Ausland, Innere, Gesundheit, Arbeit, Soziales, Integration, KV, Ärztekammer, Krankenkasse, Krankenhausgesellschaft etc.), so dass eine maximale Verantwortungsdiffusion stattfindet. Es gibt genau zwei Lösungsansätze, die auf folgenden Grundsätzen basieren muss: Wer macht und wer zahlt. Erster Lösungsansatz: die einzelnen Akteure setzen sich endlich an einen Tisch und gehen gemeinsam die Customer Journey eines zugewanderten Arztes durch. Verantwortungen werden klar definiert und auch bezahlt, Prozesse werden nach innen wie nach außen transparent gemacht und rechtliche Grauzonen (wie z.B. die vorläufige Berufserlaubnis) in klare Regelungen überführt. Zweiter Lösungsansatz: Es braucht eine eAkte für den zugewanderten Arzt, die sich auch gern als vorläufige Bürgerakte definieren kann. Der digitale Weg könnte Ressourcen schaffen, die besser für die persönliche Betreuung der zugewanderten Fachkräfte aufgewandt werden können.
Zweitens braucht es dringend eine Finanzierung von zugewanderten Ärztinnen und Ärzten in niedergelassenen Praxen, die sich auf die Kenntnisprüfungen vorbereiten. Darüber hinaus benötigt es die Finanzierung eines übergeordneten Programmes wie BRIDGE, dass die Vernetzung aller Akteure bis zum Schluss begleitet und die deutschen Strukturen kennt. Insbesondere, um für den Allgemeinmedizinischen Beruf zu werben und eben auch kleine Arbeitgeber und Kommunen mit wenig Overhead zu ermöglichen, zugewanderte Ärzt:innen zu unterstützen und für sich anzuwerben. Wenn man hier genauer nachfragt, geht die Argumentationsschleife dagegen immer den gleichen Weg: die Krankenkassen sagen „Den Sicherstellungsauftrag hat die KV“. Die KV sagt „Den haben wir, aber nur für alle Ärzt:innen mit Approbation“ - es wäre also die Ärztekammer zuständig; die sagt: „Wir brauchen viel mehr Studienplätze statt zugewanderte Ärzte:innen, da muss sich das Sozialministerium kümmern“ und das Sozialministerium sagt: „Dafür sind die Selbstverwaltungen zuständig.“ Und so geht das Ganze schon seit Jahren. Daher gibt es bis heute auch keine Lösung, weil sich keiner verantwortlich fühlt und das Problem so immer weitergeschoben wird.
Und drittens geht es um die Einführung eines zweistufigen Systems: Anerkennung der Grundausbildung und Facharztausbildung. Aktuell muss jeder, der sich für die Kenntnisprüfung entscheidet, eine komplette Facharztausbildung gemacht haben, auch wenn die Person bereits 20 Jahre als Chirurg gearbeitet hat. Hier handelt es sich um ein systemisches Problem, das, wenn es behoben würde, Ärzte:innen und Ärzte nicht mehr daran hindern würde, schneller Ihren Facharzttitel zu erreichen. Unserer Meinung nach müsste ‚unbegründet der Weg zur Kenntnisprüfung‘ einzuschlagen sein, so dass in einem Prozess einer zweiten Anerkennung im Rahmen der Facharztausbildung durchaus Kenntnisse und Zertifikate wie auch Berufserfahrungen berücksichtigt werden können.
Bei allem ist wichtig, dass niemals die Qualität der Ausbildung und das Beherrschen der deutschen Sprache aus dem Auge verloren werden darf. Das bedeutet, wir müssen das System unbedingt transparenter und schneller machen, nicht aber den Anspruch übergehen, qualitative Versorgung sicherzustellen. Wir brauchen den Mittelweg - wenn wir den erreichen, wäre einiges geschafft.
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