Mit 35 Jahren erhält Nadine Mattes die Diagnose Parkinsons. Ein Jahr später, wird ihr mitgeteilt, müsse sie in Rente gehen. Von dem innersten Wunsch getrieben, weiterhin Teil der Gesellschaft sein zu können, folgt sie dem Rat einer Freundin: „Gründe doch eine Selbsthilfegruppe!“
Heute ist Nadine Mattes Gründerin und Erste Vorsitzende vom Bundesverband Parkinson Youngster für Selbsthilfe und Bewegungsstörungen e.V. Mit Ihrer Tätigkeit verschafft sie Betroffenen Gehör, macht ihnen sowie deren Angehörigen Mut und bietet Unterstützung bei dem Umgang mit der Krankheit.
Mir war mit Gründung des Verbandes von Anfang an klar, dass wir auch in der Selbsthilfe digitale Anwendungen anbieten müssen. Bereits Anfang 2019 boten wir somit die Online-Selbsthilfe an. Die Kontaktsperre während der Pandemie war so für uns keine Überraschung. Wir wollten Selbsthilfe für jeden zugänglich machen, was gerade in den Gebieten mit schwacher Infrastruktur nur online möglich ist. Die Online-Selbsthilfe öffnet jeden die Tür und ist Information und Austausch für alle. Aber auch sonst ist die Digitalisierung, bei uns, von Beginn an ein großes Thema. Wir versenden keine Briefe, wir drucken keine Flyer, oder Magazine. Wir gehen als Aussteller mit einem rein digitalen Messestand auf Kongressen, so können wir Themen bezogen alle relevanten Informationen, über Multimedia Säule zur Verfügung stellen. Alle Inhalte können per QR-Code heruntergeladen werden und sind somit dauerhaft verfügbar. Aktuell haben wir das Projekt „Parkinson ist nicht das Ende der Welt“ digital umgesetzt. In einer interaktiven Präsentation erklären wir den Kindern anschaulich was Parkinson eigentlich ist. Auch hier haben wir uns gezielt für ein digitales Format entschieden. Nachhaltigkeit ist die Verantwortung von uns allen, das wollten wir vom ersten Tag als Hauptmerkmal setzen. Als junger Verband möchten wir auch ein Stück weit motivieren, den Weg in die digitale Präsentation zu gehen. Es ist nicht nur kostenreduzierend, es ist auch noch gut für die Umwelt, dazu ist der Arbeitsaufwand deutlich geringer als eine Broschüre zu entwickeln. Wir sehen den Vorteil der digitalen Angebote und möchten so auch in Zukunft weiterarbeiten und die Angebote optimieren. Es war nie unser Ziel 100 Selbsthilfegruppen zu eröffnen, wir möchten den Weg der digitalen Selbsthilfe stetig ausbauen, denn wir sehen hierin eine optimierte Ergänzung zu der klassischen Selbsthilfe.
Aktuell führen wir die digitale Selbsthilfe noch sehr klassisch über eine gebräuchliche Meeting-Software durch. Wir gehen dort ins Gespräch - themenbezogen, aber auch einfach mal nur ein lockeres Zusammensitzen, ohne festes Thema, so wie man das aus der klassischen Selbsthilfe kennt. Auch Referenten sitzen mit in den Formaten, und stehen dort Rede und Antwort. Wir sehen aber auch, dass diese Art nicht zukunftsfähig bzw. optimierungswürdig ist. Es kommt oft vor, dass der eine oder andere eine Frage hat, die sich aber an eine „einzelne Person aus der Runde“ wendet. Auch ist es schwer, die alten Hasen bei „Laune“ zu halten. Wenn bei jedem Onlinetreffen ein neuer Teilnehmer in die Runde kommt, muss der/die ein oder andere sich ein Thema mehrfach anhören und kommt selbst nicht mehr weiter. Zur Lösung dieses Problems entwickeln wir gerade eine virtuelle Selbsthilfe-Plattform, in der die Patient:innen, aber auch die Angehörigen wesentlich mehr Möglichkeiten haben, an gezielte Informationen zu kommen. Es wird eine Art virtuelle Bibliothek geben, die zum Download aller themenrelevanter Informationen dient. Auch ein „Wohnzimmer“, wo man die Möglichkeit hat ins Einzelgespräch zu gehen, sowie ein Gruppenraum, wo der Austausch mit vielen möglich ist, und vieles mehr wird dort integriert sein. Eine Plattform, die interaktiv ist und somit deutlich mehr Möglichkeiten gibt, die Angebote umzusetzen. „Selbsthilfe und Digitalisierung“ steckt noch in den Kinderschuhen. Wir versuchen mit dem Bundesverband Parkinson Youngster e.V. ein bestmögliches digitales Angebot zu schaffen und würden uns freuen, wenn wir anderen Verbänden mit Rat und Tat zu Seite stehen können.
Im Jahr 2019 gab es im Zuge der Gesetzesänderung eine Online-Umfrage zu Digitalisierung in der Gesundheitlichen Selbsthilfe. Diese Umfrage zeigt klar die Probleme, die leider heute noch genauso bestehen. Drei Jahre später hat sich dieser Zustand leider nicht geändert. Ich möchte ein paar Beispiele aus dem Alltag der Selbsthilfe nennen. Hardware ist nur schwer bis gar nicht förderfähig. Wir bekommen eine Ablehnung der Förderung für die Anschaffung eines PC mit der Begründung, diesen können wir auch privat nutzen. Gleichzeitig sagt der Paragraph 20h SGB V aber auch, dass Online-Angebote in der digitalen Selbsthilfe nur dann anerkannt werden, wenn diese dem Datenschutz entsprechen. Wir möchten digitale Angebote mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen anbieten, bekommen aber keine Hardware, da man diese möglicherweise privat nutzen könnte. Gleichzeitig bedeutet das, dass wir unseren privaten PC und IT-Equipment der Selbsthilfe kostenlos zur Verfügung stellen sollen. Das ist schon sehr grotesk. Das ist in etwa so, als wenn man einen IT’ler bei Einstellung sagt: „Sie sind eingestellt, aber die Hardware zur Ausübung ihrer Tätigkeit müssen Sie selbst mitbringen.“ Wir arbeiten im Ehrenamt, stellen unsere Zeit dem Gesundheits-system kostenlos zur Verfügung, und müssen nun auch noch unser Geld mitbringen. Wir würden viel schneller weiterkommen, wenn wir hier mehr Unterstützung erhalten würden. Unsere Selbsthilfe-Plattform ist auch ein Beispiel. Eigentlich ein Projekt was schon längst fertig sein könnte, aber nur langsam wachsen kann, weil wir alles selbst finanzieren. Da sind wir auf Spenden angewiesen, was in unserem Fall das größte Problem ist. Wir sind so stark digital aufgestellt, dass wir im Grunde genommen unsere Arbeit nur durch Spenden finanzieren können.
Wo sollten wir anfangen?
Wir brauchen in erster Linie eine Anpassung der gesetzlichen Grundlage, um die Digitale Selbsthilfe weiterzubringen. Weniger schwammige Formulierungen würden die gezielte Förderung vereinfachen. Auf Bundesebene wurden im Jahr 2021, 303 Antragsteller mit rund 12,5 Millionen gefördert. Der Druck von Flyer und Magazinen in der Selbsthilfe wird im Bereich der Pauschalförderung quasi vollumfänglich gefördert. Wenn wir hier theoretisch davon ausgehen, dass von dieser Summe zehn Prozent für Porto, Papier, Druck, Grafik und Produktion eingesetzt werden, sind dies 1,25 Millionen Euro. Bei 303 Antragsteller wäre das dann - rein rechnerisch - ca. 4.100 Euro im Jahr. Da macht es doch Sinn, sich in Form der digitalen Möglichkeiten auch rein digital aufzustellen. Hier haben wir einmalig Hardwarekosten, z.B. für Messen von ca. 2.500 Euro. Das Einsparpotential ist somit bereits im ersten Jahr der Förderung da. Nachhaltige und ökologische Selbsthilfe - in unserem Fall sehen wir hier klar den Mehrwert für alle. Leider ist diese Art der Verbandsführung in unserem hoch digitalisierten und wirtschaftlich starken Land auf private Unterstützung in Form von Geld- oder Sachspenden angewiesen, da wir seitens der öffentlichen Förderung kaum Möglichkeiten haben.
Was wir uns wünschen würden?
Das man uns, aber auch den anderen Selbsthilfen, weniger Steine in dem Weg legt und innovative, digitale Projekte finanziell unterstützt. Wir freuen uns aber auch, wenn wir mit Ihrem Newsletter eventuell Unternehmen erreichen, die bereit sind Softwarelösungen zur digitalen Selbsthilfe zur Verfügung zu stellen oder aussortierte Hardware statt zu entsorgen, der Selbsthilfe zur Nutzung zu überlassen. Gute Geräte werden oft nach der Abschreibung entsorgt, oft sind die Geräte noch so „up to date“, dass sie nach einer datenschutzkonformen Löschung gut eingesetzt werden können. In der Selbsthilfe fehlen die Mittel zu privaten Anschaffungen, das wäre doch ein ökologischer Gedanke, bei den Selbsthilfegruppen vor Ort nachzufragen, ob Hardware, Software oder auch Büromöbel gebraucht werden. Die Wichtigkeit der „Selbsthilfe im Gesundheitswesen“ ist jedem bekannt. All diese Ehrenämter entlasten das Gesundheitswesen. Was wir jetzt brauchen, ist Entlastung der Selbsthilfe, sonst wird die zukünftig wegbrechen. Dieser Prozess hat leider bereits vor Jahren begonnen, nun wird es Zeit, hier gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
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