Prof. Dr. Boris Augurzky gehört zu den renommiertesten Gesundheitsexperten des Landes. Seit wenigen Wochen ist der Gesundheitsökonom Mitglied der 16-köpfigen Regierungskommission zur Krankenhausreform, die im kommenden Jahr Vorschläge für eine Krankenhausstrukturreform machen soll. Der Wissenschaftler leitet seit 2003 den Kompetenzbereich Gesundheit beim RWI und ist Geschäftsführer der privaten Münch-Stiftung. Im Interview nennt Prof. Dr. Augurzky die größten Handlungsbedarfe im Gesundheitswesen und fordert eine stärkere Nutzung von Gesundheitsdaten.
In den vergangenen Jahren habe ich mich intensiv mit der Krankenhaus-struktur und -finanzierung befasst und zudem Projekte begleitet und unterstützt, die auf regionaler Ebene die Schwerpunktbildung bei Krankenhäusern vorantreiben. In der Praxis gestaltet sich dies oft schwieriger, als man sich das in der Theorie vorstellt. Wer aber Geduld mitbringt, kann die Hürden der Praxis überwinden. Meines Erachtens die größte Herausforderung wird die Beschleunigung des demografischen Wandels sein. Beginnend in drei bis vier Jahren werden deutlich mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als wir an Nachwuchskräften rekrutieren können – inklusive Zuwanderung. Das Gesundheitswesen wird auf einen gewaltigen Fachkräftemangel zulaufen, der den derzeitig bereits vorhandenen Mangel übertreffen wird. Wir müssen uns also möglichst schnell Gedanken machen, wie wir uns dieser Herausforderung stellen, um Rationierung von Gesundheitsleistungen zu vermeiden. Hinzu kommen die Folgen einer sich abzeichnenden neuen Weltordnung, das heißt, höhere Kosten für Waren durch eine teilweise Rückabwicklung der Globalisierung und eine Umschichtung der Steuermittel zugunsten der Landesverteidigung. Mittelfristig werden wir im Gesundheitswesen außerdem mit den Konsequenzen des Klimawandels zu kämpfen haben. Chancen bieten sich durch medizinisch-technologische Veränderungen.
Für mich heißt bedarfsgerecht, dass die Versorgung von den Nutzern her gedacht und aufgebaut wird. Das zu erreichen, ist ein langer Weg. Unter anderem braucht es dafür Anpassungen an den bestehenden Vergütungssystemen. Modern heißt für mich, dass wir in der Leistungserbringung sowie in der Interaktion mit den Patient:innen moderne Technologie konsequent nutzen. Beispielsweise sollte der Kontakt von Patient:innen mit Leistungserbringer:innen jederzeit auch digital erfolgen können. Die Gesundheitsdaten der Patient:innen, sofern sie dies möchten, müssen jederzeit verfügbar sein. Zum Beispiel muss ihre Medikation digital hinterlegt sein. Das Krankenhauszukunftsgesetz stellt Mittel zur Verfügung, damit Krankenhäuser sich hinsichtlich der Digitalisierung up-to-date bringen können. Zwar wird es kaum reichen, um am Ende so digital wie beispielsweise Estland aufgestellt zu sein. Aber wichtige Schritte dahin werden unternommen. Schon dass endlich etwas Bewegung reinkommt, würde ich als einen ersten Erfolg verbuchen. Die Evaluation des Gesetzes läuft aber noch.
Wir beobachten genau, welche Vorschläge zur Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung von verschiedenen Organisationen gemacht werden oder wurden, darunter auch von der Monopolkommission. Sie fließen in den Diskussionsprozess ein.
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